Die von dem Psychiater Roberto Assagioli definierte Psychosynthese, betrachtet Menschen als eine sich beständig entwickelnde bunte Vielfalt an Bedürfnissen, Strebungen und Antrieben, die oft als unvereinbar erlebt werden. Dem wird keine noch so gut gemeinte "Methode" gerecht werden können. Sie ist deshalb weniger Methode, als eine umfassende Landkarte der Psyche, die hilft, sich im seelischen Kräftespiel zu orientieren und mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Ihr Panorama erstreckt sich von der Tiefenpsychologie bis hin zur Transpersonalen Psychologie, deren Bedeutung für den modernen Menschen von Assagioli bereits früh erkannt und beschrieben wurde.
Die Betonung des Willens als einem Instrument der Freiheit des wachen ICH, stellt einen wichtiger Beitrag der Psychosynthese dar. Wer entdeckt hat, das der Wille weniger mit Anstrengungen zu tun hat, als mit der Fähigkeit klare Entscheidungen zu treffen, der wird zunehmend selbst zum Gestalter des Lebens, anstatt von Energie raubenden Konflikten in identitätsloser Orientierungslosigkeit zerrieben zu werden.
Assagioli geht, wie auch C.G.Jung, von einem höheren Selbst aus, die zentrale Intelligenz in jedem von uns, welche weit über die Triebkräfte und Prägungserfahrungen hinausreicht und sinnvolles, inneres Wissen in allen Lagen bereithält. Das hat nichts mit Glauben, Religion oder Esoterik zu tun, sondern zeigt sich in der Praxis immer dann, wenn ein Mensch beginnt sich von einseitigen Haltungen und Identifikationen zu lösen und achtsam seine Bedürfnisse wahr - bzw. ernst zu nehmen beginnt. Der Zugang zu innerem Wissen und die Wahlfreiheit ihm zu folgen erschliesst sich von Selbst, wenn genügend beobachtendes Bewusstsein etabliert ist.
Von da an will der Wille in den Dienst dieser tieferen oder höheren Intelligenz (je nach Blickwinkel) gestellt werden. Was kommt dabei heraus? Der Buchtitel eines Psychosyntheseklassikers von Pierro Ferrucci, einem Schüler Assagiolis bringt es auf die Formel "Werde was Du bist"
Ein Leben jenseits von Verstellung und Verzerrung der tieferen Identität. C.G Jung beschrieb diesen Vorgang als Individuationsprozess. Die Heldin oder der Held in uns der sich traut nach eigenen Gestzen zu leben. Das mag in manchen Ohren pathetisch klingen, meint aber beispielsweise dort Ja zu sagen , wo man Ja meint und Nein zu sagen , wo man Nein meint. Wir Leben dann weniger in Vorstellungen, sondern JETZT, in der Präsenz, nehmen achtsam Signale des Körpers wahr und richten den Willen nach echten Bedürfnissen aus , anstatt uns von Konventionen und der Sehnsucht nach Zugehörigkeit leiten zu lassen.